Schwarze Zukunft

Von Christian Brüser · · 2008/02

Nach dem Mord an Benazir Bhutto scheint die Atommacht Pakistan in die Unregierbarkeit abzugleiten. Die Wahlen vom Februar dürften den Verfallsprozess des wichtigen US-Verbündeten beschleunigen.

Seit dem Mord an der zweifachen Premierministerin Benazir Bhutto am 27. Dezember kommt Pakistan nicht zur Ruhe. Unmittelbar danach kam es im ganzen Land zu Unruhen, rund 50 Menschen wurden dabei getötet. In der 9-Millionen-Stadt Lahore, dem liberalen, kulturellen Herz Pakistans, das bisher von Anschlägen weitgehend verschont geblieben war, sprengte sich am 10. Jänner ein Selbstmordattentäter in die Luft. Die meisten der 22 Todesopfer waren Polizisten. In der Hafenstadt Karatschi forderte wenige Tage später während eines Besuchs von Präsident Pervez Musharraf ein weiterer Anschlag zehn Tote.
Mit Benazir Bhuttos Ermordung ging eines der blutigsten Jahre in der 60-jährigen Geschichte Pakistans zu Ende: Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Straßenschlachten, die glücklose Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad und schließlich Benazir Bhuttos triumphale Rückkehr am 18. Oktober, die mit mehr als 150 Toten endete.
Wer Benazir Bhutto ermordet hat, ist bisher ungeklärt. Feinde hatte sie viele: In der Armee (der Militärmachthaber Zia-ul-Haq hatte ihren Vater hinrichten lassen), in den Geheimdiensten, bei den rechten Parteien und vor allem bei den religiösen Extremisten. Seit Monaten hatten sie gedroht, die „Freundin Amerikas und Feindin Pakistans“ hinzurichten.
Die Regierung spricht davon, dass Al-Qaida hinter dem Mord stecke, man habe ein Telefonat abgehört, in dem Gefolgsleute von Bin Laden über ihren Erfolg gejubelt hätten. Doch Al-Qaida-Vertreter bestreiten dies. Zahllose Gerüchte kursieren in Pakistan, u.a. heißt es, die Geheimdienste hätten Benazir Bhutto umgebracht, denn sie sei im Besitz geheimer Unterlagen gewesen, die beweisen hätten können, dass die Wahl manipuliert werden sollte.
Bei den nun auf 18. Februar verschobenen Wahlen darf Bhuttos Pakistan Peoples Party (PPP) mit einem Märtyrer-Bonus rechnen – sofern tatsächlich Wahlen stattfinden – und könnte die stärkste Partei werden. Sie wird aber einen Koalitionspartner brauchen, um regieren zu können.

Präsident Musharrafs Plan der letzten Monate sah vor, eine Koalition aus der ihm loyalen PML-Q (Pakistan Muslim League-Q) und Benazir Bhuttos PPP zu schmieden. Voraussichtlich hätte diese Koalition eine absolute Mehrheit im Parlament gehabt, und durch die Verteilung von Pfründen hätte es gelingen können, die beiden heterogenen Partner zusammen zu halten. Benazir Bhutto wollte um jeden Preis wieder an der politischen Macht beteiligt sein. Musharraf wäre bereit gewesen, seine bisherigen Bündnispartner unter den islamischen Parteien fallen zu lassen. Dadurch hätte er freie Hand gehabt, um gegen die Islamisten vorzugehen, ohne dass ihm die islamischen Parteien mit einem Bruch der Koalition drohen können. Außerdem hätte ein Bündnis mit Benazir Bhutto die USA zufrieden gestellt, die plötzlich entdeckt hatten, dass es Musharraf an demokratischer Legitimation mangelt.
Dass sich dieser Plan nun auch ohne Benazir Bhutto realisieren lässt, ist unwahrscheinlich. Nur sie hätte das politische Gewicht gehabt, um ihre Partei für dieses Vorhaben zu gewinnen. Ihrem Nachfolger wird dies kaum gelingen, zumal viele AnhängerInnen der PPP überzeugt sind, dass Musharraf bei der Ermordung Bhuttos seine Finger im Spiel hatte. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass die bisher rivalisierenden Parteien PPP und Nawaz Sharifs PML-N (Pakistan Muslim League – Nawaz) sich zumindest vorübergehend verbünden könnten, um Pervez Musharraf vom Präsidentensessel zu stoßen. Dieser ist seit 1999 Nawaz Sharifs Erzfeind, schließlich hatte er damals den Premier bei einem unblutigen Putsch gestürzt und ins Exil verbannt.
Sollten PPP und PML-N bei den Wahlen im Februar eine Mehrheit erzielen, bleibt die Frage, wer Premierminister werden soll. Nawaz Sharif scheidet aus. Erstens laufen gegen ihn Gerichtsverfahren wegen alter Korruptionsvorwürfe, zweitens darf laut Gesetz ein Premier maximal zweimal dieses Amt bekleiden.
Da die Bhuttos die PPP als Familienunternehmen betrachten, ist auch hier kein geeigneter Premier in Sicht. Ihre beiden Brüder wurden bereits umgebracht – Murtaza wurde 1996 von der Polizei erschossen, Shahnawaz im französischen Exil vergiftet. Ihre 1957 geborene Schwester Sanam, das letzte überlebende Kind von Zulfikar Ali Bhutto, hat es bisher immer abgelehnt, in die Politik zu gehen.
Die PPP entschied sich dennoch für eine dynastische Regelung und wählte am 30. Dezember 2007 Benazirs Sohn Bilawal zum neuen Parteivorsitzenden auf Lebenszeit. Er ist erst 19 Jahre alt und wird vorerst weiter in Oxford Geschichte studieren. „Demokratie ist die beste Rache“, sagte er nach seiner Bestellung und ließ wissen, dass er von nun an Bilawal Bhutto Zardari heißen werde – vorher trug er nur den Nachnamen seines Vaters. Die PPP wurde bisher immer von Bhuttos geleitet.
Sein Vater Asif Ali Zardari soll einstweilen die politischen Geschäfte für ihn übernehmen. Doch Benazir Bhuttos Witwer ist in Pakistan äußerst unpopulär und trägt den Spitznamen „Mister 10 Prozent“. Er war während Benazir Bhuttos Regierungszeit Investitionsminister und soll bei allen vergebenen Aufträgen zehn Prozent „Provision“ verlangt haben. Insgesamt hat der Spross einer Fabrikantendynastie bereits elf Jahre wegen Korruptions- und Morddelikten im Gefängnis verbracht.

Den Parteien mangelt es an hoffnungsvollem Nachwuchs. Während der acht Jahre De-facto-Militärdiktatur Pervez Musharrafs waren die Oppositionsparteien marginalisiert und konnten talentierten Leuten keinerlei Karrierechancen bieten. Die gut ausgebildete, moderne Elite in den Städten, die Pakistan modernisieren könnte, wandte sich mit Abscheu von der Politik und den korrupten Machenschaften der Parteien ab.
Selbst wenn im besten Fall nach den Wahlen eine handlungsfähige Regierung gebildet werden kann, bleiben viele Hindernisse auf dem Weg zur Demokratisierung bestehen. Geheimdienste und Armee werden der Regierung kaum als bereitwillige Instrumente zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit haben sie meist ihr eigenes Süppchen gekocht. Das Militär hat seine dominierende Position während der letzten acht Jahre ausgebaut. Es ist der größte Grund- und Immobilienbesitzer des Landes, verfügt über ein gewaltiges Wirtschaftsimperium, das Cornflakes produziert und Kinos ebenso betreibt wie Tankstellen oder Versicherungen. Pensionierte Generäle leiten Banken oder Universitäten, sind in Versicherungen ebenso zu finden wie in Reisebüros. Sobald eine zivile Regierung versucht, die ökonomischen Interessen des Militärs zu beschneiden, sind Konflikte zu erwarten. Aber ohne die massive Unterstützung durch die Armee wird es einer neuer Regierung nicht gelingen, die Gewalt einzudämmen, und sie wird schnell an Popularität verlieren.
Eine weitere Herausforderung besteht in der Wiederherstellung einer unabhängigen Justiz. Um seine Wiederwahl als Präsident zu retten, hatte Pervez Musharraf am 3. November den Ausnahmezustand ausgerufen und die Richter des Obersten Gerichtshofs entlassen, die kurz davor waren, zu verkünden, dass die Wahl ungültig sei.

Der entlassene ehemalige oberste Richter des Landes, Iftikhar Mohammad Chaudhry, der vielen als Hoffnungsträger gilt, befindet sich seitdem unter Hausarrest und mit ihm viele andere Richter und Anwälte, obwohl der Ausnahmezustand am 15. Dezember beendet wurde. Weder Musharraf noch die Politiker haben Interesse an einer eigenständigen und mutigen Richterschaft, was bei der kriminellen Vergangenheit der bisherigen Regierungen nicht weiter verwundert. Das bedeutet aber, dass niemand mehr Gerechtigkeit von den Gerichten erwarten kann. Das Gefühl, der Willkür der Macht ausgeliefert zu sein, wird weitere Verzweiflungstaten und mehr Fälle von Selbstjustiz heraufbeschwören.
Wer könnte Pakistan transformieren und aus dem Griff der Extremisten befreien? Ein schnelles Ende der Krise ist nicht in Sicht, aber es gibt positive Kräfte. Die Anwälte, Menschenrechtsgruppen, kritische Armeeangehörige, lautere Politiker, die sich zögernd politisierende Studentenschaft, Friedensaktivistinnen, Journalisten und Kunstschaffende. Bisher haben es die USA und Europa aus Furcht vor den militanten Islamisten meist vorgezogen, Militärmachthaber zu unterstützen. Vielleicht kommt es nun zu einem Umdenken. Gazi Salahuddin, einer der führenden Journalisten des Landes, formuliert es so: „Die schlechteste Demokratie ist besser als die beste Diktatur!“

Christian Brüser ist freier TV- und Hörfunkjournalist mit Schwerpunkt Südasien. Er hat kürzlich Pakistan bereist.

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